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Bundesgerichtshof

Entscheidung vom 07.02.1956, Az.: 1 STR 561/55

Tenor

Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Deggendorf vom 11. Oktober 1955 im Strafausspruch mit den Feststellungen hierzu aufgehoben und die Sache in diesem Umfange zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an das Landgericht zurückverwiesen.

Im übrigen wird die Revision verworfen.

Entscheidungsgründe

Die Angeklagte hat im Unterhaltsrechtsstreit ihres unehelichen Kindes nach viermaliger uneidlicher Vernehmung schließlich beschworen, daß sie während der Empfängniszeit ausschließlich mit dem als Erzeuger in Anspruch genommenen Mann namens K. geschlechtlich verkehrt habe. Das Landgericht hat sie wegen Meineids unter Zubilligung mildernder Umstände zu acht Monaten Gefängnis verurteilt und es abgelehnt, die Strafe nach § 23 StGB zur Bewährung auszusetzen. Es hat außerdem auf Verlust der bürgerliches. Ehrenrechte für die Dauer von zwei Jahren sowie "dauernde Eidesunfähigkeit" (richtig "dauernde Unfähigkeit, als Zeuge oder Sachverständiger eidlich vernommen zu werden") erkannt. Die Revision der Angeklagten hat nur zum Strafausspruch Erfolg.

I.Verfahrensrügen.

1.)Das Landgericht stützt seine Überzeugung, daß die Beschwerdeführerin entgegen ihren uneidlichen Bekundungen und ihrer beschworenen Aussage während der Empfängniszeit doch noch mit einem anderen Manne als dem auf Unterhaltszahlung in Anspruch genommenen K. geschlechtlich verkehrt hat und sich dessen bei ihren Aussagen auch bewußt gewesen ist, außer auf ihre Äußerungen gegenüber den Zeugen E. und Do. auf das erbbiologische Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. Dr. S., wonach "jeder vernünftige Zweifel darüber ausgeschlossen ist, daß ... die Angeklagte in der einrechnungsfähigen Zeit außer mit K. auch noch mit einem anderen Mann Geschlechtsverkehr gehabt haben muß". Die Verteidigung ist der Auffassung, daß das Landgericht gegen § 245 StPO verstoßen habe. Der an dem schriftlichen Gutachten des Prof. S. beteiligte und in der Hauptverhandlung erschienene Sachverständige Dr. Sch. habe auf Befragen das Gutachten dahin ergänzt, daß "ein hundertprozentiger Beweis ... nicht gegeben sei". Unter diesen Umständen hätte das Gericht nach Ansicht der Beschwerdeführerin dem Antrag des Verteidigers auf Zuziehung des weiteren Sachverständigen Dr. H. (der nach dem L. verfahren K. für den Vater erklärt und den Mehrverkehrszeugen Breit ausgeschlossen hatte) stattgeben müssen. Durch die Ablehnung des Beweisantrages habe das Gericht gegen seine Wahrheitsermittlungspflicht verstoßen.

Die Rüge kann nicht auf § 245 StPO gestützt werden, da eine Verletzung dieser Vorschrift nicht dargetan ist. Auch gegen § 244 Abs 4 StPO, der die Ablehnung eines Beweisantrages auf Vernehmung eines weiteren Sachverständigen behandelt, hat das Landgericht nicht verstoßen, da es ersichtlich durch das Gutachten des Prof. S. das Gegenteil der behaupteten Tatsache als erwiesen angesehen hat und die Voraussetzungen des § 244 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 StPO nicht vorgelegen haben; nicht einmal in der Revisionsbegründung sind diese vorgetragen. Mit dem Hinweis auf die Wahrheitsermittlungspflicht des Gerichts zielt die Revision ersichtlich auf eine Verletzung des § 244 Abs. 2 StPO ab. Aber auch diese Rüge geht fehl. Das Landgericht hatte um so weniger Anlaß, den L. gutachter Dr. H. als weiteren Sachverständigen zu hören, als dessen Gutachten in dem Unterhaltsrechtsstreit durch Prof. L. selbst als unrichtig und die Vaterschaft des K. als "höchst unwahrscheinlich" bezeichnet worden war. Da auch das übliche Blutgruppen- und -faktorengutachten im jenem Rechtsstreit zu keinem Ergebnis geführt hatte, sind keine Erkenntnisquellen ersichtlich, deren Benutzung noch nahegelegen hätte, so daß das Landgericht seiner Aufklärungspflicht ebenfalls genügt hat.

Die in diesem Zusammenhang erhobene Rüge der Verletzung des Grundsatzes "im Zweifel für den Angeklagten" ist ebenfalls unbegründet, da das Landgericht zum Ausdruck bringt, daß es die volle Überzeugung von der Richtigkeit des von ihm festgestellten Sachverhalts erlangt hat. Daß eine "hundertprozentige Sicherheit" weder bei dem Gutachten eines Sachverständigen noch für die Überzeugung des Gerichts erforderlich ist, ist in ständiger Rechtsprechung anerkannt (vgl BGHSt 5, 34, 36 f [BGH 16.06.1953 - 1 StR 809/52]; BGH NJW 1951, 83 Nr. 23 und 122 Nr. 16; BGH 5 StR 6/52 vom 31. Januar 1952 = LM Nr. 6 zu § 261 StPO sowie 3 StR 9/53 vom 21. Mai 1953 = LM Nr. 14 zu § 261 StPO).

2.)Die Rüge, das Gericht habe die weiteren Anträge des Verteidigers "auf Vernehmung der bereits zugelassenen und geladenen Zeugen" zu Unrecht abgelehnt, ist nicht ordnungsgemäß ausgeführt und daher unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO; BGHSt 3, 213).

II.Sachrüge.

Die Merkmale des Meineids sind vom Landgericht zwar knapp, aber ausreichend und nach der äußeren und inneren Tatseite ohne erkennbaren Rechtsirrtum festgestellt; sie werden auch von der Revision, abgesehen von der bereits erörterten Rüge der Verletzung des Grundsatzes "Im Zweifel für den Angeklagten", aus sachlichrechtlichen Gründen nicht beanstandet.

Dagegen rügt die Revision mit Recht, daß im angefochtenen Urteil nicht erörtert worden sei, ob die Angeklagte sich nicht vielleicht im Eidesnotstand nach § 157 StGB befunden hat. Zwar kann die Anwendung des § 157 nach der Entscheidung des Großen Senats für Strafsachenvom 24. Oktober 1955 - GSSt 1/55 - nicht auf die Gefahr gerichtlicher Bestrafung gestützt werden, die der Angeklagten, als sie den Meineid schwor, aus ihren früheren uneidlichen Vernehmungen erwuchs, Dabei ist es gleichgültig, ob sich diese Bestrafungsmöglichkeit aus § 153 StGB oder aus anderen Gesetzesvorschriften - etwa § 263 StGB - ergab (BGH 1 StR 357/54 vom 20. Dezember 1955, zum Abdruck bestimmt). Der Sachverhalt läßt aber die Möglichkeit naheliegend erscheinen, daß die Angeklagte sich schon vor ihren Vernehmungen im Unterhaltsrechtsstreit einer Verfehlung schuldig gemacht hatte, die die Gefahr einer gerichtlichen Bestrafung für sie heraufbeschwor, indem sie nämlich bereits bei der der Klage gegen den unehelichen Erzeuger üblicherweise vorangehenden Vernehmung als Kindesmutter durch das Jugendamt bewußt der Wahrheit zuwider versicherte, innerhalb der gesetzlichen Empfängniszeit nur mit K. geschlechtlich verkehrt zu haben, und so das Jugendamt zu dem Entschluß brachte, gegen K. als unehelichen Vater Unterhaltsklage zu erheben. Dieses Verhalten der Angeklagten, würde als versuchter Betrug nach §§ 263, 43 StGB zu werten sein und die Anwendung des § 157 StGB rechtfertigen, wenn die Möglichkeit nicht auszuschließen ist, daß die Angeklagte ihre falschen Aussagen im Unterhaltsrechtsstreit erstattete, um die Gefahr einer gerichtlichen Bestrafung wegen dieser ihren falschen. Aussagen vorangegangenen Verfehlung von sich abzuwenden. Dabei wäre für die Frage, ob die Gefahr einer gerichtlichen Bestrafung bestand, von der Vorstellung auszugehen, die sich die Angeklagte hiervon machte. Das gilt auch für die Frage, ob sie nach § 46 StGB vom Betrugsversuch strafbefreiend hätte zurücktreten können. Auf eine zutreffende strafrechtliche Würdigung kommt es bei der Angeklagten nicht an. Sie würde übrigens auch dann falsch ausgesagt und geschworen haben, "um" die Gefahr gerichtlicher Bestrafung von sich abzuwenden, wenn dieser Beweggrund nicht der einzige gewesen wäre (Beschluß des Großen Senats des BGH vom 24. Oktober 1955 GSSt 1/55). Daß ein durch falsche Angaben gegenüber dem Jugendamt versuchter Prozeßbetrug durch Aufrechterhaltung der falschen Darstellung bei den gerichtlichen Vernehmungen weitergeführt worden und rechtlich unter Umständen als eine fortgesetzte Tat (Meineid in Tateinheit mit fortgesetzten Prozeßbetrug) zu betrachten wäre, stünde der Anwendbarkeit des § 157 nicht entgegen. Es würde genügen, daß nach der Vorstellung der Angeklagten die Gefahr einer gerichtlichen Bestrafung wegen einer vor der ersten gerichtlichen Vernehmung liegenden Verfehlung bestand; die nachträgliche rückschauende Bewertung dieser Handlung als Teilstück einer fortgesetzten Tat wäre unerheblich (RGSt 75, 277; BGH 1 StR 357/54 vom 20. Dezember 1955; vgl auch den erwähnten Beschluß des Großen Senats).

Der Mangel betrifft nur den Strafausspruch; er zwingt zu dessen Aufhebung. Die Feststellungen des Landgerichts ergeben nicht nur keine Klarheit darüber, ob zur Zeit der ersten gerichtlichen Vernehmung schon eine Gefahr im Sinne des, § 157 StGB bestand, sondern sie ermöglichen es dem Senat auch nicht, mit der erforderlichen Sicherheit auszuschließen, daß die Angeklagte sich allein oder auch zur Abwendung einer solchen Gefahr zu dem von ihr geschworenen Meineid entschloß.

Das Landgericht spricht bei der Erörterung der Merkmale des § 23 StGB von der Angeklagten als "verstockter und hartnäckiger Täterin". Diese Feststellung steht zwar nicht in unlösbarem Widerspruch mit der vorangehenden Unterstellung,"daß sie als unerfahrenes Mädchen zunächst nicht wußte, wer der eigentliche Vater sei, und daß sie aus Furcht, keinen Kindsvater zu haben, den ihr am ehesten als Vater erscheinenden K. angegeben hat, woran sie bei ihren späteren Angaben festgehalten hat, weil sie bei ihrer Primitivität nicht einsehen konnte, daß man ihr das Gegenteil werde beweisen können".

Die bisherigen Feststellungen des Landgerichts ermöglichen aber jedenfalls nicht den Schluß, daß das Landgericht überzeugt gewesen ist, die Angeklagte habe nicht zur Abwehr einer Gefahr im Sinne des § 157 StGB gehandelt. Das Urteil ist daher auf die Revision der Angeklagten im Strafausspruch nebst den Feststellungen hierzu aufzuheben.

Damit erübrigt sich ein Eingehen auf die Angriffe der Revision gegen die Ablehnung der Strafaussetzung zur Bewährung. Das Landgericht wird aber in seinem neuen Urteil Gelegenheit haben, zu diesen Ausführungen der Beschwerdeführerin Stellung zu nehmen und insbesondere ihre auch für § 23 StGB sehr wesentlichen Beweggründe zu klären. Darüber hinauf werden eingehende Feststellungen über Lebenslauf und Persönlichkeit der Angeklagte zu treffen sein, die im angefochtenen Urteil fehlen, jedoch für die Strafzumessung und die Frage der Strafaussetzung zur Bewährung, selbst im Falle des § 23 Abs. 3 Nr 1 StGB (BGH NJW 1955, 30 Nr 18), von erheblicher Bedeutung sind.