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Bundesgerichtshof

Entscheidung vom 11.05.2016, Az.: IV ZR 334/15

Tenor

Auf die Anschlussrevision der Beklagten wird unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels das Urteil des 7. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 28. Mai 2015 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als sie zur Zahlung von mehr als 3.695,13 € nebst Zinsen verurteilt worden ist. Insoweit wird auf die Berufung des Klägers unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels das Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Stuttgart vom 12. Januar 2015 teilweise abgeändert und dahin neugefasst, dass die Beklagte verurteilt wird, an den Kläger 3.695,13 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 30. Dezember 2013 zu zahlen.

Die Revision des Klägers wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz haben der Kläger zu 75% und die Beklagte zu 25% zu tragen. Die Kosten des Berufungsverfahrens haben der Kläger zu 80% und die Beklagte zu 20% zu tragen. Die Kosten des Revisionsverfahrens haben der Kläger zu 60% und die Beklagte zu 40% zu tragen.

Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 6.295,13 € festgesetzt.

Von Rechts wegen.

Tatbestand

Die Klägerseite (Versicherungsnehmer im Folgenden: d. VN) begehrt von dem beklagten Versicherer (im Folgenden: Versicherer) Rückzahlung geleisteter Versicherungsbeiträge einer Kapitallebensversicherung.

Diese wurde aufgrund eines Antrags d. VN mit Versicherungsbeginn zum 1. April 2001 nach dem so genannten Policenmodell des § 5a VVG in der seinerzeit gültigen Fassung (im Folgenden: § 5a VVG a.F.) abgeschlossen. Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts erhielt d. VN mit dem Versicherungsschein ein Begleitschreiben mit einer drucktechnisch nicht deutlich gestalteten Belehrung über das Widerspruchsrecht nach § 5a VVG a.F. D. VN zahlte fortan die Prämien, insgesamt 22.936,77 €. Im September 2005 zeigte d. VN dem Versicherer an, dass er die Rechte und Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag an die D. A. bank abgetreten habe. Im Zusammenhang mit der Umwandlung der Beklagten von einem Versicherungsverein a.G. in eine Aktiengesellschaft im Jahr 2006 erhielt d. VN 227 Aktien von dem Versicherer zugeteilt.

Mit Schreiben vom 14. Oktober 2010 erklärte d. VN unter anderem den Widerspruch nach § 5a VVG a.F., hilfsweise die Kündigung. Der Versicherer akzeptierte die Kündigung und zahlte nach Abzug der Kapitalertragsteuer in Höhe von 538,83 € und des Solidaritätszuschlags von 29,64 € den verbleibenden Rückkaufswert von 17.664,66 € aus.

Mit der Klage verlangt d. VN - soweit für das Revisionsverfahren noch von Bedeutung - Rückzahlung aller auf den Vertrag geleisteten Beiträge nebst Zinsen abzüglich des bereits gezahlten Rückkaufswerts.

Nach Auffassung d. VN ist der Versicherungsvertrag nicht wirksam zustande gekommen. Auch nach Ablauf der Frist des - gegen Gemeinschaftsrecht verstoßenden - § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. habe der Widerspruch noch erklärt werden können.

Der Versicherer hat sich auf Verwirkung berufen und die Einrede der Verjährung erhoben.

Das Landgericht hat der Klage in Höhe von 999,34 € stattgegeben und sie im Übrigen abgewiesen. Den zuerkannten Bereicherungsanspruch hat es wie folgt bemessen:

22.936,77 € eingezahlte Prämien - 380,00 € Wert Risikoschutz - 6.295,79 € Abschlusskosten

+ 3.600,00 € Nutzungen - 628,51 € Aktienwert - 18.233,13 € Rückzahlung brutto 999,34 € Rest Auf die Berufung d. VN hat das Oberlandesgericht das erstinstanzliche Urteil teilweise dahin abgeändert, dass es den Versicherer zur Zahlung von 4.295,13 € verurteilt hat, und die weitergehende Berufung zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt d. VN das Klagebegehren in Höhe von weiteren 3.000 € weiter. Der Versicherer erstrebt mit seiner Anschlussrevision Aufhebung des Berufungsurteils und auch insoweit Klageabweisung.

Entscheidungsgründe

Die Revision hat keinen Erfolg, die Anschlussrevision führt teilweise zur Aufhebung des Berufungsurteils und weiteren Klageabweisung.

I. Nach Auffassung des Berufungsgerichts steht d. VN ein weiterer Anspruch auf Herausgabe der Beiträge nach § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB sowie auf Nutzungsersatz nach § 818 Abs. 1 Alt. 1 BGB in Höhe von 4.295,13 € zu. Das Landgericht habe die Abschlusskosten zu Unrecht in voller Höhe von 6.295,79 € in Abzug gebracht. Abzugsfähig seien die Aufwendungen für die Vermittlercourtage, die der Versicherer nach Ablauf der Stornohaftzeit in Höhe von 4.622,19 € nicht mehr zurückverlangen könne. Diese Kosten seien nur in Höhe von 3.000 € angemessen.

II. Die Anschlussrevision ist nur zum Teil begründet.

1. Das Berufungsgericht hat d. VN zu Recht einen Anspruch auf Erstattung der gezahlten Prämien aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB zuerkannt.

a) Der zwischen den Parteien geschlossene Versicherungsvertrag schafft keinen Rechtsgrund für die Prämienzahlung. Er ist infolge des Widerspruchs d. VN nicht wirksam zustande gekommen. Der Widerspruch war - ungeachtet des Ablaufs der in § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. normierten Jahresfrist - rechtzeitig. Da der Versicherer nach den nicht angegriffenen Feststellungen d. VN nicht ordnungsgemäß i.S. von § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. über das Widerspruchsrecht belehrte, bestand das Widerspruchsrecht nach Ablauf der Jahresfrist und noch im Zeitpunkt der Widerspruchserklärung fort. Das ergibt die richtlinienkonforme Auslegung des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F., wie der Senat in einem gleich gelagerten Fall mit Urteil vom 7. Mai 2014 (IV ZR 76/11, BGHZ 201, 101 Rn. 17-34) entschieden und im Einzelnen begründet hat.

b) Entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung hat d. VN das Recht zum Widerspruch nicht verwirkt. Es fehlt hier jedenfalls am Umstandsmoment. Ein schutzwürdiges Vertrauen kann der Versicherer schon deshalb nicht in Anspruch nehmen, weil er die Situation selbst herbeigeführt hat, indem er d. VN keine ordnungsgemäße Widerspruchsbelehrung erteilte (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 39 m.w.N.)

Auch die - ausweislich der Bestätigung der D. A. bank vom 18. März 2014 mittlerweile beendete - Abtretung der für den Todesfall entstehenden Ansprüche und Rechte aus dem Lebensversicherungsvertrag zur Sicherheit musste das Berufungsgericht nicht als besonders gravierenden Umstand werten, der d. VN die Geltendmachung seines Anspruchs verwehrt. Der Einsatz der Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag zur Sicherung der Rechte eines Dritten aus einem Darlehensvertrag lässt keinen zwingenden Schluss darauf zu, dass d. VN in Kenntnis seines Lösungsrechts vom Vertrag an diesem festgehalten und von seinem Recht keinen Gebrauch gemacht hätte. Ob ein schutzwürdiges Vertrauen des Versicherers auf den Bestand des Versicherungsvertrages etwa bei einem - hier nicht gegebenen - engen zeitlichen Zusammenhang zwischen dem Abschluss des Versicherungsvertrages und dessen Einsatz zur Kreditsicherung oder einer - hier nicht vorliegenden - mehrfachen Abtretung angenommen werden kann (vgl. Senatsbeschluss vom 27. Januar 2016 - IV ZR 130/15, juris Rn. 16), bleibt der tatrichterlichen Beurteilung vorbehalten, die hier aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden ist.

c) Aus der Erklärung des Widerspruchs folgende bereicherungsrechtliche Ansprüche waren bei Klageerhebung Ende Dezember 2013 nicht verjährt, wie das Landgericht richtig ausgeführt hat. Die maßgebliche regelmäßige dreijährige Verjährungsfrist des § 195 BGB konnte erst mit Schluss des Jahres 2010 beginnen, da d. VN erst in diesem Jahr den Widerspruch erklärte (vgl. Senatsurteil vom 8. April 2015 - IV ZR 103/15, VersR 2015, 700 Rn. 19 ff.).

d) Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Rückgewähranspruch der Höhe nach nicht uneingeschränkt alle gezahlten Prämien umfasst.

aa) Das Landgericht - und ihm folgend das Berufungsgericht - hat d. VN bei der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung den jedenfalls faktisch bis zum Widerspruch genossenen Versicherungsschutz angerechnet. Der Wert des Versicherungsschutzes kann unter Berücksichtigung der Prämienkalkulation bemessen werden; bei Lebensversicherungen kann etwa dem Risikoanteil Bedeutung zukommen (Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 45 m.w.N.). Ausgehend davon hat das Landgericht den Wertersatz entsprechend den unstreitig auf das Todesfallrisiko entfallenden Prämienanteilen mit 380 € bemessen.

bb) Als weiteren anzurechnenden Vermögensvorteil haben die Vorinstanzen zu Recht die bei der Auszahlung des Rückkaufswertes vom Versicherer einbehaltene und an die Steuerbehörden abgeführte Kapitalertragsteuer nebst Solidaritätszuschlag in Abzug gebracht (vgl. hierzu Senatsurteil vom 29. Juli 2015 - IV ZR 448/14, VersR 2015, 1104 Rn. 38 ff.).

e) Der von dem Versicherer erhobene Einwand der Entreicherung gemäß § 818 Abs. 3 BGB greift entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht hinsichtlich der von ihm in Höhe von 3.000 € in Abzug gebrachten Abschlusskosten. Insoweit und hinsichtlich der Verwaltungskosten kann sich der Versicherer nicht auf den Wegfall der Bereicherung berufen. Dies hat der Senat in den Urteilen vom 29. Juli 2015 (IV ZR 384/14, VersR 2015, 1101 Rn. 41 ff.; IV ZR 448/14 aaO Rn. 46 ff.), die vergleichbare Sachverhalte betrafen, entschieden und im Einzelnen begründet.

2. Entgegen der Auffassung der Vorinstanzen steht d. VN ein Anspruch auf Nutzungszinsen gemäß § 818 Abs. 1 Alt. 1 BGB nicht zu, weil er diese nicht schlüssig dargetan hat, wie die Anschlussrevision zu Recht rügt.

Nach § 818 Abs. 1 Alt. 1 BGB sind nur die Nutzungen herauszugeben, die vom Bereicherungsschuldner tatsächlich gezogen wurden (Senatsurteile vom 11. November 2015 - IV ZR 513/14, VersR 2016, 33 Rn. 41; vom 29. Juli 2015 - IV ZR 384/14 aaO Rn. 46; IV ZR 448/14 aaO Rn. 51; jeweils m.w.N.). Zudem können bei der Bestimmung der gezogenen Nutzungen die gezahlten Prämien nicht in voller Höhe Berücksichtigung finden (Senatsurteil vom 11. November 2015 aaO Rn. 41 ff.). Nutzungen aus dem Risikoanteil, der dem Versicherer als Wertersatz für den von d. VN faktisch genossenen Versicherungsschutz verbleibt, stehen d. VN nicht zu (vgl. Senatsurteil vom 11. November 2015 aaO Rn. 42). Der auf die Abschlusskosten entfallende Prämienanteil bleibt für Nutzungsersatzansprüche außer Betracht. Mangels abweichender Anhaltspunkte ist davon auszugehen, dass der Versicherer diesen Prämienanteil nicht zur Kapitalanlage nutzen konnte (vgl. Senatsurteil vom 11. November 2015 aaO Rn. 44 f.). Hinsichtlich des Verwaltungskostenanteils der Prämien kann nicht vermutet werden, dass der Versicherer Nutzungszinsen in bestimmter Höhe erzielt hat. Der insoweit darlegungsbelastete VN kann sich nicht ohne Bezug zur Ertragslage des jeweiligen Versicherers auf eine tatsächliche Vermutung einer Gewinnerzielung in bestimmter Höhe - etwa in Höhe des hier von d. VN verlangten Zinssatzes von 6,6046% oder anhand der vom Landgericht zugrunde gelegten durchschnittlichen Nettoverzinsung von Kapitalanlagen - stützen (vgl. Senatsurteil vom 11. November 2015 aaO Rn. 46 ff.).

3. Der Anspruch d. VN berechnet sich demnach wie folgt:

22.936,77 € eingezahlte Prämien - 380,00 € Wert Risikoschutz - 628,51 € Aktienwert - 538,83 € Kapitalertragssteuer - 29,64 € Solidaritätszuschlag - 17.664,66 € restlicher Rückkaufswert 3.695,13 € Hinsichtlich des darüber hinaus vom Berufungsgericht zuerkannten Betrages ist seine Entscheidung auf die Anschlussrevision aufzuheben.

III. Aus den vorgenannten Erwägungen steht d. VN der mit der Revision geltend gemachte Anspruch auf Zahlung weiterer 3.000 € nicht zu, obwohl die Rüge berechtigt ist, dass Abschlusskosten auch in dieser Höhe von dem Bereicherungsanspruch nicht abgezogen werden dürfen.

Mayen Harsdorf-Gebhardt Dr. Karczewski Lehmann Dr. Brockmöller Vorinstanzen:

LG Stuttgart, Entscheidung vom 12.01.2015 - 3 O 11/15 -

OLG Stuttgart, Entscheidung vom 28.05.2015 - 7 U 27/15 -