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Bundesgerichtshof

Entscheidung vom 13.03.1990, Az.: XI ZR 252/89

Tatbestand

Die Klägerin gewährte dem Beklagten am 2. Dezember 1981 einen von dritter Seite vermittelten Ratenkredit, dem folgende Berechnung zugrunde lag:

Darlehensbetrag 25.000,00 DM

Maklergebühren (5%) 1.250,00 DM

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Finanzierungsbetrag 26.250,00 DM

Zinsen (1,1% p.Monat) 17.325,00 DM

Bearbeitungsgebühr (4%) 1.050,00 DM

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Gesamtdarlehen 44.625,00 DM.

Der "Effektivzins (Bank) incl. Bearbeitungsgebühr" war im Darlehensantrag mit 26,2% p.a., die "Kreditkosten (incl. Makler) " waren mit 29,3% p.a. angegeben.

Der Kredit sollte ab 1. Januar 1982 mit einer ersten Rate von 729 DM und 59 Folgeraten von monatlich je 744 DM getilgt werden. Der Beklagte zahlte darauf nach mehreren Mahnungen und Stundungen bis Januar 1987 insgesamt 38.229,10 DM. Weitere Zahlungen verweigerte er, da der Darlehensvertrag wegen sittenwidrig hoher Zinsen nichtig sei. Die Klägerin verrechnete einen Teil der Zahlungen auf Verzugszinsen, Stundungsgebühren und -zinsen sowie außergerichtliche Rechtsverfolgungskosten. Mit der Klage hat sie noch eine Restforderung von 12.766,40 DM zuzüglich 21,6% Zinsen aus 12.184,90 DM seit dem 1. Dezember 1986 geltend gemacht.

Die Klage ist in beiden Vorinstanzen erfolglos geblieben. Mit ihrer - zugelassenen - Revision verfolgt die Klägerin die Klageforderung nur in Höhe von 10.408,70 DM nebst 8% Zinsen seit dem 17. Dezember 1986 weiter.

Entscheidungsgründe

Die Revision hat keinen Erfolg.

I.Das Berufungsgericht hat den Ratenkreditvertrag gemäß § 138 Abs. 1 BGB für nichtig erachtet und zur Begründung ausgeführt: Zwischen der Leistung der Klägerin und der Gegenleistung des Beklagten bestehe ein auffälliges Mißverhältnis, das unter Berücksichtigung aller Geschäftsumstände, insbesondere der den Beklagten unangemessen belastenden Darlehensbedingungen die Sittenwidrigkeit des Vertrages begründe. Der unter Berücksichtigung der Maklergebühren nach der Annuitätenmethode berechnete effektive Vertragszins betrage 29, 3%. Er übersteige den Marktzins zur Zeit des Vertragsabschlusses von 16,64% relativ um 76,08% und absolut um 12,66 Prozentpunkte. Eine absolute Zinsdifferenz von mehr als 12 Prozentpunkten könne in Hochzinsphasen die Annahme eines auffälligen Mißverhältnisses von Leistung und Gegenleistung rechtfertigen. Dieses werde durch die in den Darlehensbedingungen enthaltene, den Beklagten unangemessen belastende Regelung der Verzugsfolgen verstärkt, denn danach sei der gesamte fällige Restbetrag des Darlehens einschließlich der darin enthaltenen Zinsanteile vom Eintritt des Verzuges bis zur vollständigen Tilgung ohne Rücksicht auf den tatsächlichen Verzugsschaden der Klägerin mit 28,2% zu verzinsen.

II.Diese Beurteilung hält der revisionsrechtlichen Überprüfung, der die Voraussetzungen des § 138 Abs. 1 BGB in vollem Umfang unterliegen (BGH, Urteil vom 24. September 1987 - III ZR 188/86, WM 1987, 1354, 1355 zu II m.w.Nachw.), stand.

1. Nach der Rechtsprechung des III. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs, der sich der erkennende Senat angeschlossen hat und von der auch das Berufungsgericht ausgegangen ist, gehört zum objektiven Tatbestand eines wucherähnlichen Ratenkreditgeschäfts ein auffälliges Mißverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung. Wichtigste Bewertungsgrundlage ist dabei ein Vergleich des effektiven Vertragszinses mit dem marktüblichen Effektivzins (BGHZ 104, 102, 104 [BGH 24.03.1988 - III ZR 30/87]; BGH, Urteil vom 24. März 1988 - III ZR 24/87, WM 1988, 647, Senatsurteil vom 20. Februar 1990 - XI ZR 195/88, Urteilsabdruck S. 7).

a) Nach der Berechnung des Berufungsgerichts überstieg der Vertragszins von 29,3% den Marktzins von 16,64% relativ um 76,08% und absolut um 12,66 Prozentpunkte. Diese Berechnung folgt - rechtlich wie mathematisch - der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGHZ 104, 102, 104 f. [BGH 24.03.1988 - III ZR 30/87]; BGH, Urteil vom 24. März 1988 - III ZR 24/87, WM 1988, 647, 648 f.) und wird von der Revision nicht angegriffen.

b) Ein relativer Zinsunterschied von 76,08% reicht, was das Berufungsgericht nicht verkannt hat, zur Feststellung eines Verstoßes gegen § 138 Abs. 1 BGB nicht aus. Der Bundesgerichtshof bejaht ein auffälliges Mißverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung grundsätzlich erst dann, wenn der Vertragszins rund doppelt so hoch ist wie der Marktzins (BGHZ 104, 102, 105 [BGH 24.03.1988 - III ZR 30/87]; BGH, Urteil vom 24. März 1988 - III ZR 24/87, WM 1988, 647, 649). Da es sich bei der Überschreitung um 100% nicht um eine starre Grenze, sondern nur um einen Richtwert handelt, ist die Anwendung des § 138 Abs. 1 BGB auch noch zu billigen, wenn die relative Zinsdifferenz zwischen 90% und 100% liegt und die von der Bank festgelegten sonstigen Kreditbedingungen die Belastung des Kreditnehmers ins Untragbare steigern (BGHZ 104, 102, 105 [BGH 24.03.1988 - III ZR 30/87] m.w.Nachw.). Übersteigt dagegen der Vertragszins den Marktzins relativ um weniger als 90%, so hat der Bundesgerichtshof ein auffälliges Mißverhältnis regelmäßig verneint (BGHZ 99, 333, 336 [BGH 15.01.1987 - III ZR 217/85];  104, 102, 105) [BGH 24.03.1988 - III ZR 30/87]. Im vorliegenden Fall liegt der relative Zinsunterschied mit 76, 08% deutlich unter dieser Grenze.

c) Das Berufungsgericht hat die Annahme eines auffälligen Mißverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung deshalb zu Recht nicht auf die relative, sondern auf die absolute Zinsdifferenz von 12,66 Prozentpunkten gestützt.

aa) Zu der Frage, ob bei Ratenkreditverträgen neben dem relativen Zinsunterschied von rund 100% auch ein bestimmter absoluter Zinsunterschied als Richtwert für den Zinsvergleich dienen kann und bei welcher Prozentpunktzahl die Grenze liegen soll, hat der Bundesgerichtshof bisher nicht abschließend Stellung genommen. Er hat lediglich entschieden, daß eine solche zusätzliche Regelgrenze jedenfalls nicht bereits bei 11,5 Prozentpunkten anzusetzen wäre (BGH, Urteil vom 13. Juli 1989 - III ZR 77/88, WM 1989, 1675, 1676 zu II 2; BGH, Urteil vom 25. Januar 1990 - III ZR 100/89, Urteilsabdruck S. 5 f.), daß aber im Einzelfall ein absoluter Unterschied von 13,58 Prozentpunkten bei einer relativen Zinsdifferenz von 83,72% für eine Anwendung des § 138 Abs. 1 BGB genügen kann, wenn außerdem der Kredit zu wesentlichen Teilen der Ablösung zinsgünstiger anderer Darlehen dient (BGHZ 104, 102, 106) [BGH 24.03.1988 - III ZR 30/87].

Von den Instanzgerichten und im Schrifttum wird die Frage unterschiedlich beantwortet: In der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte wird ganz überwiegend die vom Berufungsgericht geteilte Auffassung vertreten, bei Ratenkreditverträgen aus Hochzinsperioden komme einer absoluten Zinsdifferenz von (etwa) 12 Prozentpunkten eine ähnliche Richtwertfunktion zu wie sonst dem relativen Unterschied von 100% (OG Stuttgart WM 1985, 349, 352; KG MDR 1985, 582; OLG Celle WM 1985, 995; OLG Bremen WM 1986, 1077; OLG Köln NJW-RR 1986, 1494 f. [OLG Köln 19.09.1986 - 12 W 46/86]; NJW-RR 1987, 1136, 1137; ZIP 1987, 363, 364 und ZIP 1988, 499, 502; OLG Frankfurt WM 1987, 282 und WM 1988, 16, 17; OLG Düsseldorf WM 1989, 294, 296; vgl. ferner OLG Hamm NJW-RR 1986, 46; OLG Karlsruhe NJW-RR 1986, 217, 218) [OLG Karlsruhe 24.10.1985 - 9 U 71/84]. Diese Ansicht wird im Schrifttum überwiegend geteilt (Palandt/Heinrichs, BGB, 49. Aufl., § 138 Anm. 2 b cc; Meiwes, Probleme des Ratenkreditvertrags, 3. Aufl., S. 33 f.; Schmelz, NJW-Schriften 49 - Der Verbraucherkredit, Rdn. 260; Reifner DB 1984, 2178, 2179; vgl. ferner Emmerich/Münstermann WM-Script: Aktuelle Probleme des Ratenkredits 1989, S. 9; Emmerich JuS 1988, 925, 929).

Demgegenüber messen der 20. Zivilsenat des OLG Köln (WM 1987, 1548, 1549) und das OLG München (FLF 1989, 48) einer Überschreitung des Marktzinses um absolut mehr als 12 Prozentpunkte für die Frage eines auffälligen Mißverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung kein entscheidendes Gewicht bei (vgl. auch Steinmetz, Sittenwidrige Ratenkreditverträge in der Rechtspraxis, S. 42 und Bülow, RWS-Script 202 - Konsumentenkredit in der neueren höchstrichterlichen Rechtsprechung, Rdn. 30-32, der den absoluten Zinsunterschied nur in Grenzfällen ergänzend heranziehen will).

bb) Nach Auffassung des Senats kommt einem absoluten Zinsunterschied von 12 Prozentpunkten eine ähnliche Richtwertfunktion zu wie dem relativen Unterschied von rund 100%. Die relative Überschreitung des Schwerpunktzinses ist in Hochzinsphasen, in denen der absolute Zinsunterschied stärker ins Gewicht fällt (BGH, Urteil vom 5. März 1987 III ZR 43/86, WM 1987, 613, 615), kein ausreichendes Kriterium für die Feststellung eines auffälligen Mißverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung. Hohe Schwerpunktzinsen ließen bei der grundsätzlich als erlaubt anzusehenden relativen Überschreitung um rund 100% absolute Zinsdifferenzen als zulässig erscheinen, die in keinem angemessenen Verhältnis zu den höheren Refinanzierungskosten und dem steigenden Insolvenzrisiko der Teilzahlungsbanken stünden; die Kalkulation des Vertragszinses wird nicht nur durch die Aufwendungen für die Refinanzierung, die Beitreibung und die Risikorücklagen, sondern wesentlich auch durch die relativ konstanten Betriebskosten und die Gewinnspanne bestimmt. Überschreitungen des Marktzinses um 12 Prozentpunkte oder mehr übersteigen deshalb auch bei allgemein hohem Zinsniveau die erhöhten Kosten deutlich und erlauben den Teilzahlungsbanken eine Steigerung ihrer Gewinne auf Kosten von in der Regel finanziell beschränkt leistungsfähigen Kreditnehmern, die durch die hohen Kreditgebühren ohnehin besonders drückenden Belastungen ausgesetzt sind. In derartigen Fällen liegt deshalb auch dann ein auffälliges Mißverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung vor, wenn die relative Überschreitung des Schwerpunktzinses die kritische Grenze nicht erreicht.

2. Im Streitfall überschreitet der Vertragszins den Marktzins absolut um 12,66 Prozentpunkte und liegt damit über dem vorgenannten Richtwert. Das danach gegebene auffällige Mißverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung wird, wie das Berufungsgericht im Ergebnis zutreffend ausgeführt hat, durch die in den Darlehensbedingungen der Klägerin enthaltene, den Beklagten übermäßig belastende Verzugsfolgenregelung noch verstärkt. Nach Abschnitt B I 4 b Satz 2 der Darlehensbedingungen der Klägerin, die bei der gebotenen Gesamtwürdigung aller für die Sittenwidrigkeit erheblichen Geschäftsumstände zu berücksichtigen sind (BGH, Urteil vom 24. September 1987 - III ZR 188/86, WM 1987, 1354, 1355 m.w.Nachw.), ist im Verzugsfalle die gesamte noch offene Darlehensschuld bis zur vollständigen Bezahlung ohne Rücksicht auf die Laufzeit des Darlehens, den Marktzins und den von der Klägerin bei neu herausgelegten Darlehen erzielbaren Zins mit 28,2% zu verzinsen. Diese Regelung verstößt zwar nicht, wie das Berufungsgericht meint, gegen das Zinseszinsverbot der §§ 248, 289 Satz 1 BGB. Von dem bis zur Fälligkeit des Gesamtdarlehens aufgelaufenen Zinsrückstand kann die Klägerin als Verzugsschaden Zinsen beanspruchen (BGHZ 104, 337, 344), und ab Gesamtfälligkeit wird das Darlehen nach Abschnitt B I 4 b Satz 1 der Darlehensbedingungen der Klägerin zurückgerechnet. Jedoch verstößt die Verzugsschadensberechnung der Darlehensbedingungen, wie das Berufungsgericht zutreffend näher ausgeführt hat, gegen das Verbot der Pauschalierung von übermäßigen Schadensersatzansprüchen nach § 11 Nr. 5 a AGBG und ist überdies mit der neueren Rechtsprechung des III. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs zur abstrakten Berechnung des Verzugsschadens einer Bank nicht vereinbar (BGHZ 104, 337, 344 ff.; BGH, Urteil vom 28. April 1988 - III ZR 120/87, WM 1988, 1044, 1045). Nach dieser Rechtsprechung, der sich der Senat anschließt und von der auch die Revision ausgeht, kann eine Bank bei abstrakter Berechnung ihres Verzugsschadens höchstens die zur Zeit des Verzuges marktüblichen Bruttosollzinsen verlangen, und zwar nach einem Durchschnittsatz, der sich nach der Zusammensetzung ihres gesamten Aktivkreditgeschäfts richtet. Dieser Zinssatz liegt erfahrungsgemäß ganz erheblich unter dem nach den Darlehensbedingungen der Klägerin maßgeblichen starren Zinssatz von 28,2%. Die Verzugsschadensregelung der Darlehensbedingungen stellt für den Beklagten daher eine zusätzliche Belastung dar. Unter Berücksichtigung dessen, sowie insbesondere des dargelegten auffälligen Mißverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung hat das Berufungsgericht den Darlehensvertrag im Rahmen der vorgenommenen Gesamtabwägung zu Recht als sittenwidrig angesehen (§ 138 Abs. 1 BGB).

III.Der Klägerin stand daher gegen den Beklagten kein Darlehensanspruch, sondern lediglich ein Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung gemäß § 812 Abs. 1 Satz 11. Altern. BGB auf Rückzahlung des Nettodarlehensbetrags von 25.000 DM, nicht, wie das Berufungsgericht meint, des Finanzierungsbetrages einschließlich der Maklergebühren von 26.250 DM zu (BGH, Urteil vom 30. Juni 1983 - III ZR 114/82, WM 1983, 951, 953). Dieser Anspruch ist durch die Zahlungen des Beklagten in Höhe von insgesamt 38.229, 10 DM erloschen. Die Revision der Klägerin war deshalb zurückzuweisen.