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Bundesgerichtshof

Entscheidung vom 24.09.1997, Az.: XII ZR 234/95

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 16. August 1995 aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Feststellung, daß sie zur Untervermietung berechtigt und die vom Beklagten ausgesprochene fristlose Kündigung unwirksam ist.

Mit Vertrag vom 23. September 1993 mietete die Klägerin von dem Beklagten gewerbliche Räume zur Nutzung als Imbißoder Gaststätte für die Dauer von zunächst fünf Jahren.

Bei dem von den Parteien verwendeten Vertragsvordruck handelt es sich um einen im Schreibwarenhandel erhältlichen Formularsatz mit der Bezeichnung "Mietvertrag für gewerbliche Räume und Garagen". Er besteht im ursprünglichen Zustand aus einem Deckblatt mit Ausfüllhinweisen und drei durchpaginierten, beidseitig bedruckten Blättern, die jeweils mit einem selbstdurchschreibenden Doppel unterlegt und mit diesem durch eine perforierte Kopfleiste verbunden sind.

Der graphisch einheitlich gestaltete Vertragstext besteht aus 26 Paragraphen, von denen sich die §§ 1 und 2 auf Blatt 1, die §§ 3 bis 6 auf Blatt 2 und die §§ 7 bis 10, 25 und 26 sowie der Raum für die Unterschriften der Vertragsparteien auf Blatt 3 befinden. Die §§ 11 bis 16 sind auf der Rückseite von Blatt 1 abgedruckt und die §§ 17 bis 24 auf der Rückseite von Blatt 2, gefolgt von dem Hinweis "§§ 25 und 26 - siehe Vorderseite Blatt 3". § 25 enthält den Hinweis, daß die auf der Rückseite von Blatt 1 und 2 abgedruckten Bestimmungen der §§ 11 - 24 ebenso Vertragsbestandteil sind wie die auf der Rückseite von Blatt 3 abgedruckte Aufstellung der Betriebskosten.

Die Parteien haben den Formularsatz im Zuge des Ausfüllens getrennt und jedes der beiden Vertragsexemplare unterschrieben, deren Einzelblätter aber weder zusammengeheftet noch auf andere Weise fest miteinander verbunden.

§ 14 des Vertrages, der eine Untervermietung ohne ausdrückliche schriftliche Erlaubnis des Vermieters untersagt, ist in beiden Exemplaren mit Kugelschreiber durchgekreuzt und durch den Zusatz "wird gestattet" ersetzt worden. Die Parteien streiten darüber, ob diese Änderung dem übereinstimmenden Parteiwillen entsprach und anläßlich der Vertragsunterzeichnung vorgenommen wurde, oder ob beide Vertragsexemplare, wie der Beklagte behauptet, ohne sein Wissen vom Geschäftsführer L. der Klägerin nachträglich verändert wurden.

Mit Vertrag vom 28. Dezember 1993 vermietete die Klägerin die Gewerberäume an die Eheleute L. weiter. Wegen dieser Untervermietung mahnte der Beklagte die Klägerin ab und kündigte das Mietverhältnis mit Schreiben vom 17. Mai 1994 fristlos.

Das Landgericht gab der Klage mit der Begründung statt, nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei § 14 des Mietvertrages bereits bei dessen Unterzeichnung handschriftlich geändert worden und die Untervermietung daher gestattet. Auf die Berufung des Beklagten hob das Oberlandesgericht das Urteil des Landgerichts auf und wies die Klage ab. Dagegen richtet sich die Revision der Klägerin, mit der sie ihr ursprüngliches Begehren weiterverfolgt.

Entscheidungsgründe

I.Das Berufungsgericht läßt - aus seiner Sicht folgerichtig - dahinstehen, ob der Mietvertrag der Parteien die Untervermietung gestattet oder ob die Klausel, die eine Untervermietung ohne Erlaubnis des Vermieters untersagt, nachträglich einseitig verändert wurde. Es begründet die Abweisung der Klage damit, daß ein formwirksamer Mietvertrag zwischen den Parteien nicht zustande gekommen sei, weil die einzelnen Blätter des Vordrucks nicht derart miteinander verbunden gewesen seien, daß diese Verbindung nur durch teilweise Substanzzerstörung oder mit Gewalt aufgehoben werden könne. Eine bloß gedankliche Verbindung könne die erforderliche Schriftform nicht wahren.

II.Die gegen diese Beurteilung gerichteten Angriffe der Revision haben Erfolg; sie führen zur Aufhebung und Zurückverweisung. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts wahrt der von den Parteien unterzeichnete Vertrag die wegen der vereinbarten Laufzeit von mehr als einem Jahr gemäß § 566 Satz 1 BGB erforderliche Form.

1.Zutreffend ist der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts, daß ein der Schriftform bedürftiges Rechtsgeschäft in einer Urkunde enthalten sein muß, und daß die Zusammengehörigkeit einer aus mehreren Blättern bestehenden Urkunde entweder durch körperliche Verbindung oder aber sonst in geeigneter Weise erkennbar gemacht werden muß (vgl. RG JW 1924, 796; RGZ 136, 422, 425; Palandt/Heinrichs, BGB 56. Aufl. § 126 Rdn. 4).

Nicht zu folgen ist dem Berufungsgericht indes, soweit es dies unter Hinweis auf BGHZ 40, 255, 263 sogleich wieder dahin einschränkt, daß die erforderliche Einheit der Urkunde (stets) eine Verbindung der einzelnen Blätter voraussetze, die nur durch Gewalt oder teilweise Substanzzerstörung aufgehoben werden könne, und somit die körperliche Verbindung als einzige Möglichkeit ansieht, die Zusammengehörigkeit einzelner Bestandteile einer Urkunde ausreichend kenntlich zu machen.

Diese Auffassung differenziert nicht hinreichend zwischen den allgemeinen, für den gesamten Bereich des Zivilrechts einheitlich geltenden Anforderungen an die äußere Beschaffenheit einer privatschriftlichen Urkunde, wie sie in § 126 Abs. 1 und 2 BGB vorausgesetzt wird, und den inhaltlichen Anforderungen, die sich aus den einzelnen gesetzlichen Bestimmungen ergeben können, die diese Schriftform für bestimmte Willenserklärungen und Vertragstypen vorschreiben. Sie läßt insbesondere außer acht, daß die Entscheidung BGHZ 40, 255 nicht einen Fall betraf, in dem die Zusammengehörigkeit der Bestandteile eines sämtliche Vertragsabreden enthaltenden Schriftstücks fraglich war, sondern einen Fall, in dem sich die Gesamtheit der mietvertraglichen Vereinbarungen erst aus dem Zusammenspiel der Regelungen ergab, die teils in einer Haupturkunde und teils in einer darin in Bezug genommenen, mit ihr aber nicht körperlich verbundenen weiteren Urkunde enthalten waren (vgl. dazu auch BGH, Urteil vom 14. Januar 1997 - KZR 36/95 - ZIP 1997, 1169, 1170).

2.Der Bundesgerichtshof hat die strengen Anforderungen an die Zusammengehörigkeit mehrerer Urkunden, die der V. Zivilsenat in seiner Entscheidung BGHZ 40, 255, 263 ff für den Regelfall eines für längere Zeit als ein Jahr geschlossenen Mietvertrages über ein Grundstück insbesondere im Hinblick auf den Schutz eines späteren Grundstückserwerbers aufgestellt hat, in der Folgezeit für bestimmte Fälle, insbesondere für Nachtrags- und Ergänzungsvereinbarungen, zunehmend gelockert (sogenannte Auflockerungsrechtsprechung, vgl. BGHZ 42, 333, 338 f;  52, 25, 28;  Senatsurteil vom 26. Februar 1992 - XII ZR 129/90 - NJW 1992, 2283 m.w.N.).

Hiervon zu unterscheiden ist die Frage, ob zur Wahrung der Schriftform auch eine körperliche Verbindung der einzelnen Blätter eines Ursprungsmietvertrages zu fordern ist. Diese Frage wird im Schrifttum und in der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte unterschiedlich beantwortet:

a)Die Notwendigkeit einer körperlichen Verbindung der einzelnen Bestandteile der Haupturkunde bejahen u.a. OLG Dresden, Urteil vom 18. Juni 1997 - 6 U 2249/96 - (JURIS); OLG Karlsruhe, Urteil vom 25. März 1997 - 8 U 57/96 -, n.v. sowie in der hier angefochtenen Entscheidung; OLG Brandenburg ZMR 1997, 410; OLG Hamm, Urteil vom 11. Dezember 1996 - 30 U 116/96 -, n.v.; OLG Naumburg, Urteil vom 27. August 1996 - 9 U 8/96 -, n.v.; Sternel, Mietrecht, 3. Aufl. Kap. I Rdn. 199; Schlemminger NJW 1992, 2249, 2253 [BGH 17.10.1991 - 4 StR 465/91]; einschränkend ("grundsätzlich") Fritz, Gewerberaummietrecht, 2. Aufl. Rdn. 49; kritisch Gerber/Eckert, Gewerbliches Miet- und Pachtrecht, 2. Aufl. Rdn. 25, 33 ff; Lützenkirchen WuM 1997, 135, 142; für schriftformbedürftige Erklärungen allgemein Jauernig, BGB 7. Aufl. § 126 Anm. 3 c und - unter Berufung auf die Rechtsprechung des Reichsgerichts - Erman/Brox, BGB 9. Aufl. § 126 Rdn. 6.

b)Die Notwendigkeit einer körperlichen Verbindung der Blätter einer (nicht auf andere Schriftstücke Bezug nehmenden) Urkunde verneinen

für den Mietvertrag: OLG Naumburg, Urteil vom 28. Januar 1997 - 11 U 11/96 - OLG-Report 1997, 211 f; KG, Urteile vom 16. Juni 1997 - 8 U 86/96 -, n.v., KG-Report 1997, 49 und Grundeigentum 1997, 119, 120 = NJWE-MietR 1997, 175 f; OLG Hamburg, Urteile vom 2. April 1997 - 4 U 5/96 -, n.v. und vom 27. März 1996 - 4 U 167/95 - Hamburger Grundeigentum 1996, 155 m.w.N.; OLG Düsseldorf WiB 1996, 356, 357 m. Anm. Bongen; OLG München ZMR 1996, 136 f; OLG Stuttgart NJW-RR 1996, 10 f [OLG Stuttgart 24.04.1995 - 5 U 18/94];

über den Rahmen des Mietrechts hinaus: Flume, Allgemeiner Teil des BGB § 15 II 1 b, S. 252; Staudinger/Dilcher, BGB 12. Aufl. § 126 Rdn. 9 i.V.m. § 125 Rdn. 22; MünchKomm-BGB/Förschler, 3. Aufl. § 126 Rdn. 10; Soergel/Hefermehl, BGB 12. Aufl. § 126 Rdn. 4; AK/Hart, BGB § 126 Rdn. 5; einschränkend Palandt/Heinrichs aaO § 126 Rdn. 4: jedenfalls bei Verwendung eines aus Doppelblättern bestehenden, erkennbar zusammengehörenden Vetragsformulars.

Die Frage ist höchstrichterlich noch nicht entschieden.

3.Der Senat schließt sich der vorstehend unter b) genannten Auffassung an.

a)Die Frage, ob die "Auflockerungsrechtsprechung", die der Bundesgerichtshof in bezug auf Nachträge und Ergänzungen zu langfristigen Mietverträgen entwickelt hat, auch auf den Ursprungsvertrag selbst ausgedehnt werden kann (vgl. Bongen, Anm. zu OLG Düsseldorf WiB 1996, 356 f), stellt sich in dieser Form nicht. Denn die strengen Anforderungen, die BGHZ 40, 255, 263 ff. an die Zusammengehörigkeit des Ursprungsvertrages mit darin in Bezug genommenen weiteren Urkunden stellt, gelten nicht für den Ursprungsvertrag selbst.

b)Für bestimmte Willenserklärungen und Vertragstypen schreibt das Gesetz - abweichend vom Grundsatz der Formfreiheit - die Schriftform vor (z.B. §§ 566, 766, 780, 781 BGB, § 74 Abs. 1 HGB, § 34 GWB, § 4 VerbrKG, § 3 Abs. 1 BRAGO, § 11 BJagdG, §§ 1027, 1044 b ZPO).

Ob diese gewahrt ist, hängt zum einen von formalen Kriterien ab, die § 126 BGB für den gesamten Bereich des Privatrechts einheitlich regelt, wie sich bereits aus der Stellung dieser Vorschrift im Allgemeinen Teil des BGB ergibt, und zum anderen von inhaltlichen Kriterien, die jeweils den einzelnen Bestimmungen zu entnehmen sind, die die Schriftform vorschreiben, und sich insbesondere aus dem mit diesen Vorschriften jeweils verfolgten Schutzzweck ergeben (vgl. BGHZ 57, 53, 59 m.N.; BGH, Urteil vom 2. Februar 1989 - IX ZR 99/88 - BB 1989, 654; RGZ 57, 258, 260; Palandt/Heinrichs aaO § 126 Rdn. 3).

c)Der Begriff der Urkunde wird in § 126 BGB nicht definiert, sondern vorausgesetzt. Der Wortlaut dieser Vorschrift enthält keinen Hinweis darauf, daß nur ein aus einem Blatt oder aus mehreren körperlich miteinander verbundenen Blättern bestehendes Schriftstück als Urkunde anzusehen sei.

Nach den Vorstellungen des Gesetzgebers sollte sich der Urkundenbegriff des § 126 BGB mit dem der Privaturkunde im Sinne des § 381 C.P.O. a.F. = § 416 ZPO decken (vgl. Motive I 184 zu § 92; RG SeuffArch 64 Nr. 123). Auch dieser setzt nach allgemeinem Verständnis nicht mehr voraus als eine schriftlich verkörperte und vom Aussteller unterzeichnete Gedankenerklärung (vgl. BGHZ 65, 300, 301) [BGH 28.11.1975 - V ZR 127/74]. Insbesondere setzt die Urkundeneigenschaft eines Schriftstücks, das aus mehreren Blättern besteht, deren körperliche Verbindung nicht voraus.

d)Das Reichsgericht hat sich zu der Frage, ob eine Urkunde im Sinne des § 126 BGB aus mehreren körperlich nicht miteinander verbundenen Blättern bestehen kann, nicht eindeutig geäußert. Es sah die Schriftform als gewahrt an, wenn eine einheitliche Urkunde im Rechtssinn vorlag: "Ist für eine Willenserklärung Schriftlichkeit vorgeschrieben, so ist sie für die Erklärung in ihrer Gesamtheit vorgeschrieben, nicht aber für die Teile im einzelnen; die Willenserklärung muß in ihrer Gesamtheit in einer Urkunde enthalten sein. Erstreckt sich die Willenserklärung über mehrere Blätter, so müssen diese zu einer einheitlichen Urkunde im Rechtssinn zusammengefaßt werden, zum Beispiel durch dauerndes unmittelbares Beifügen eines Schriftstücks als Anlage zu einem anderen Schriftstück ... Enthalten die Blätter in sich selbständige Willenserklärungen, so bedarf es außerdem einer Bezugnahme der einen Willenserklärung auf die andere" (RGZ 136, 422, 425; vgl. auch RGZ 125, 156, 159).

RGZ 148, 349 ließ diesem Maßstab zwei Briefe und ein Protokoll genügen, deren Zusammenhang darin bestand, daß sie in dieselbe gerichtliche Pflegschaftsakte gelangten. In der Entscheidung JW 1924, 796 sah das Reichsgericht die Schriftform als durch zwei getrennte Blätter gewahrt an, die wechselseitige Bezugnahmen enthielten und jeweils nur von einer Mietvertragspartei unterzeichnet waren. Entscheidend war somit stets nur, ob die Zusammengehörigkeit aus bestimmten Umständen ersichtlich war, unter denen die feste körperliche Verbindung nur eine (in RGZ 136, 422, 425 ausdrücklich als Beispiel bezeichnete) Möglichkeit unter mehreren darstellte (so z.B. in RGZ 107, 291).

Andererseits läßt sich der Entscheidung RGZ 105, 289, 292 - im Gegensatz zur Auffassung der Revision - nicht entnehmen, daß sich das Reichsgericht gegen das Erfordernis einer körperlichen Verbindung von Einzelblättern ausgesprochen habe. Soweit dort unter Hinweis auf RG DJZ 1905 Spalte 650, Nr. 53 eine körperliche (feste oder lose) Verbindung als nicht erforderlich bezeichnet wird, ist zu beachten, daß insoweit nur zur Entscheidung stand, ob Allgemeine Geschäftsbedingungen einer Bank, denen in einem Kundenschreiben zugestimmt wird, urkundlicher Bestandteil dieses Schreibens werden und deshalb eine Urkunde im Sinne des Stempelsteuergesetzes vorlag (vgl. dazu Wenz, Handkommentar zum Preußischen Stempelsteuergesetz [1930]§ 1 Anm. 4). Daß diese Aussage zur festen Verbindung sich nicht auf das Schriftformerfordernis bezog, ergibt sich aus der nachfolgenden Feststellung des Reichsgerichts, daß eine solche Bezugnahme für die Schriftlichkeit im Sinne von § 126 BGB nicht ausreiche, weil das Kundenschreiben für sich allein nicht ersehen lasse, welche Erklärung abgegeben werden solle.

e)Auch der Bundesgerichtshof hat sich zu der Frage, ob ein aus mehreren körperlich nicht miteinander verbundenen Blättern bestehendes Schriftstück eine Urkunde im Sinne des § 126 BGB darstellt, bislang nicht ausdrücklich geäußert. Soweit der Zusammenhang mehrerer Urkunden zu beurteilen war, ist er zunächst dem Reichsgericht gefolgt und hat die Form als gewahrt angesehen, wenn auf eine andere Urkunde derart Bezug genommen wird, daß im Ergebnis die abgegebenen Erklärungen in einer Urkunde enthalten seien, was in der Regel voraussetze, daß das in Bezug genommene Schriftstück der unterzeichneten Urkunde unmittelbar beigefügt werde; alsdann decke die Unterschrift unter der Haupturkunde den gesamten Inhalt der damit verbundenen Anlage (vgl. BGH, Urteil vom 26. Februar 1962 - VIII ZR 206/60 - LM Nr. 6 zu § 566 BGB). Erst das Urteil des V. Zivilsenats vom 13. November 1963 (BGHZ 40, 255, 262 ff) folgert aus der Formbedürftigkeit sämtlicher Vertragsabreden, daß es über die bloße gedankliche Verbindung mehrerer Urkunden durch Bezugnahme hinaus im Regelfall erforderlich sei, der Haupturkunde die sie ergänzenden Urkunden in einer dem Willen der Beteiligten entprechenden Weise dergestalt beizufügen, daß die körperliche Verbindung zwischen ihnen nur durch Gewalt oder teilweise Substanzzerstörung wieder gelöst werden könne.

Dieser Entscheidung kann zumindest insoweit, als die Schriftform des § 126 BGB in Frage steht, nicht entnommen werden, daß die gleichen Anforderungen auch an den Zusammenhang eines aus mehreren Blättern bestehenden Ursprungsvertrages selbst zu stellen seien. Denn das Erfordernis der "Beifügung" durch körperliche Verbindung wird für den (Ausnahme-)Fall der Bezugnahme auf andere Urkunden aus der Einheit der Urkunde abgeleitet, wie sie als Wesensmerkmal der Schriftform dem in § 126 Abs. 2 BGB vorgesehenen Regelfall der Unterzeichnung eines Schriftstücks zu entnehmen sei (BGHZ 40, 255, 263). Diese Ableitung aus der Urkundeneinheit bedeutet zunächst nur, daß die Beifügung in Gestalt körperlicher Verbindung geeignet und erforderlich ist, zwei oder mehr Schriftstücke zu einer einheitlichen Urkunde im Sinne des § 126 BGB zusammenzufassen. Für den Begriff der Urkunde selbst läßt sich daraus nichts entnehmen. Denn die Bezugnahme auf eine andere Urkunde setzt gedanklich voraus, daß die Bezugnahme außerhalb jener Urkunde selbst erklärt wird und eine vollständige Wiedergabe ihres Inhalts erübrigt, und von der Beifügung einer Urkunde kann nur gesprochen werden, wenn ein Schriftstück, das zunächst nicht Bestandteil der Primärurkunde ist, dieser räumlich zugeordnet wird. Die einzelnen Bestandteile einer als gedankliche Einheit gewollten Erklärung, deren Umfang die schriftliche Verkörperung auf mehr als einem Blatt zur Folge hat, verdanken ihren inneren Zusammenhang hingegen nicht einer Bezugnahme auf andere, außerhalb ihrer selbst liegende Erklärungen, und eine körperliche Verbindung der einzelnen Blätter stellt eine bloße Zusammenfügung dar, nicht aber eine Beifügung zu einem anderen Schriftstück.

4.Entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung folgt die Notwendigkeit körperlicher Verbindung auch nicht aus dem weiteren Erfordernis des § 126 BGB, daß die Erklärung vom Aussteller unterzeichnet sein muß. Voraussetzung für eine Namensunterschrift im Sinne dieser Vorschrift ist zwar, daß sie die Urkunde räumlich abschließt, also unterhalb des Textes steht (vgl. BGHZ 113, 48, 54 [BGH 20.11.1990 - XI ZR 107/89] m.N.). Wo der Text einer aus mehreren Blättern bestehenden Urkunde endet (und folglich durch Unterzeichnung abzuschließen ist), läßt sich aber auch ohne körperliche Verbindung der einzelnen Blätter in aller Regel zweifelsfrei feststellen, insbesondere dann, wenn die Paginierung der einzelnen Blätter, die fortlaufende Numerierung der einzelnen Bestimmungen oder gegebenenfalls auch nur die logische Reihenfolge und der inhaltliche Zusammenhang des Textes die Reihenfolge der einzelnen Blätter und damit zugleich die Textfolge und das Ende des Textes kennzeichnen.

Andernfalls könnte selbst eine handschriftliche, sich über zwei oder mehr nicht miteinander verbundene Blätter erstreckende (oder gar eine auf einem beidseitig beschriebenen Blatt niedergelegte) Erklärung die Schriftform nur wahren, wenn jede einzelne Seite unterschrieben wäre. Es entspricht aber allgemeiner Auffassung, daß beispielsweise ein aus mehreren körperlich nicht miteinander verbundenen Blättern bestehendes und mit einer Unterschrift abschließendes Testament die Schriftform des § 2247 BGB wahrt (vgl. BayObLG FamRZ 1991, 370, 371 m. N.; Staudinger/Baumann, BGB 13. Aufl. § 2247 Rdn. 95; vgl. auch schon Urteil des Obersten Gerichtshofs zu Wien vom 19. Juli 1883, SeuffArch 39 Nr. 29).

5.Aus der Sollvorschrift des § 44 BeurkG, derzufolge jede aus mehreren Blättern bestehende notarielle Urkunde mit Schnur und Siegel zu verbinden ist, läßt sich für Privaturkunden ebenfalls kein Erfordernis einer körperlichen Verbindung ableiten, zumal ein Verstoß gegen diese Vorschrift die Wirksamkeit der Beurkundung nicht beeinträchtigt (vgl. Mecke/Lerch, BeurkG 2. Aufl. § 44 Rdn. 1; Weingärtner, Dienstordnung für Notare, 7. Aufl. Rdn. 395, 435; Keidel/Winkler, FG Teil B, 12. Aufl. § 44 BeurkG Rdn. 10 sowie BGHZ 40, 255, 264 zur entsprechenden Vorschrift der Dienstordnung für Notare). Nach der Begründung des Regierungsentwurfs eines Beurkundungsgesetzes (BT-Drucks. V/3282 S. 38) dient diese Sollvorschrift dem Zweck, einem Verlust einzelner Blätter vorzubeugen, da andere Arten der Verbindung sich als nicht ausreichend zuverlässig erwiesen haben.

Zudem gilt diese Vorschrift nicht ausnahmslos. Zwar sollen nach § 29 Abs. 2 der Dienstordnung auch Schriftstücke, die der Niederschrift beigefügt worden sind, mit dieser verbunden werden. Für die bei der Errichtung einer Verfügung von Todes wegen zu übergebende Schrift ist indes eine Verbindung mit der Niederschrift nicht vorgeschrieben (vgl. Mecke/Lerch aaO § 44 Rdn. 3, Weingärtner aaO Rdn. 442).

Aber selbst dann, wenn die im Beurkundungsgesetz vorgeschriebene Verbindung der einzelnen Blätter zwingende Voraussetzung für das Vorliegen einer öffentlichen Urkunde wäre, ließe dies keinen Rückschluß darauf zu, daß auch bei Privaturkunden die Wirksamkeit von der körperlichen Verbindung einzelner Blätter abhängig sei. Denn § 416 ZPO gilt auch für solche Urkunden, die als öffentliche Urkunden gewollt waren, aber wegen eines Mangels der für diese vorgeschriebenen Form keine öffentlichen Urkunden sind; ihnen kann gleichwohl als Privaturkunden die Beweiskraft des § 416 ZPO zukommen (vgl. für ein Dorftestament BGH, Urteil vom 4. April 1962 - V ZR 110/60 - NJW 1962, 1149, 1151 f m.N.). Dies legt den Umkehrschluß nahe, daß spezielle Formerfordernisse, die das Gesetz an die Errichtung öffentlicher Urkunden stellt, für Privaturkunden gerade nicht gelten (a.A. Schlemminger aaO 2253).

6.Das Erfordernis körperlicher Verbindung der einzelnen Bestandteile einer Urkunde im Sinne des § 126 BGB läßt sich auch nicht aus dem Sinn und Zweck der Schriftform begründen (wobei zunächst außer acht zu lassen ist, ob der im Einzelfall eines bestimmten Geschäftstypus mit dem Formzwang verfolgte Zweck bestimmte Anforderungen stellt oder Lockerungen zuläßt).

Jeder gesetzliche Formzwang stellt eine Erschwerung des Abschlusses von Verträgen dar, denn er fügt dem als Geltungsgrund des Rechtsgeschäfts im allgemeinen ausreichenden privatautonomen Willen der Parteien ein fremdbestimmtes Moment hinzu. Die teleologische Auslegung einer Formvorschrift muß deshalb einerseits die mit dem Formzwang verbundenen Zwecke berücksichtigen, andererseits aber jede unnötige Erschwerung des Rechtsverkehrs vermeiden und für Klarheit sorgen (vgl. Häsemeyer JuS 1980, 1, 2 f; ders., Die gesetzliche Form der Rechtsgeschäfte, S. 209 ff). Das gilt insbesondere für die Schriftform, deren Anforderungen von häufig rechtsunkundigen Personen ohne fachjuristischen Rat gewahrt werden müssen (so schon RG JW 1924, 796).

a)Unter diesem Gesichtspunkt kommt den verbreiteten Anschauungen darüber, was die Form erfordert, erhebliche Bedeutung zu, selbst wenn man nicht so weit geht, stets "die subjektive, also nach dem Verständnis der Parteien formgerechte Fassung als wirksam" gelten zu lassen (Häsemeyer JuS 1980, 1, 6; ders., Die gesetzliche Form der Rechtsgeschäfte, S. 270 f.; kritisch dazu Bernard, Formbedürftige Rechtsgeschäfte, S. 116 f, 120).

Insoweit ist zunächst festzustellen, daß die Auffassung, die Wirksamkeit eines schriftlich abzuschließenden Vertrages setze die feste Verbindung einzelner Blätter der Vertragsurkunde voraus, jedenfalls nicht als eine in der Bevölkerung allgemein verbreitete Anschauung angesehen werden kann. Formularverlage und Haus- und Grundeigentümerverbände bieten seit langem Vertragsformulare an, die keinen Hinweis darauf enthalten, daß die Einzelblätter zu heften und mit Anlagen in gleicher Weise zu verbinden seien.

Handelt es sich aber um eine "landläufige Vorstellung", daß eine solche körperliche Verbindung nicht erforderlich sei (vgl. Schlemminger aaO, 2250; Haase WuM 1995, 625), ließe ein solches Erfordernis es fraglich erscheinen, ob die Schriftform noch diejenige Form darstellt, die am ehesten verfügbar ist und von jedermann ohne fachjuristischen Rat eingehalten werden kann (vgl. RG JW 1924, 796; Häsemeyer, Die gesetzliche Form der Rechtsgeschäfte, S. 210).

b)In diesem Zusammenhang sind auch Überlegungen aufschlußreich, bestehende Formvorschriften im Hinblick auf die Entwicklungen des modernen Rechtsverkehrs zu lockern und so den Einsatz elektronischer Medien im Massenverkehr zu erleichtern (vgl. Diskussionsentwurf eines Gesetzes zur Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuches und anderer Gesetze, Bundesministerium der Justiz, I B 1 - 3414/2 - 11 1357/96, Stand: 31. Januar 1997). Die nach diesem Entwurf durch Einfügung eines § 126a BGB vorgesehene sogenannte Textform (beispiel